WordPress für Enterprise: Die 1 Millionen Euro Webseite

In den Händen der richtigen Agentur kann WordPress Unternehmen als leistungsfähiges CMS oder sogar als Digital Experience Plattform dienen – dies erfordert jedoch einigen Aufwand und tiefgreifendes Fachwissen.

WordPress befindet sich im stetigen Wandel. Seit seinen Anfängen als Blogging-Software hat es sich zu einem vollumfänglichen CMS mit vielfältigen Funktionen und Personalisierungsmöglichkeiten für jeden Zweck entwickelt. Dieser Artikel zeigt, wie einige der größten WordPress-Webseiten entwickelt werden und was sie von einer Standardinstallation unterscheidet. In den Händen der richtigen Agentur kann WordPress Unternehmen als leistungsfähiges CMS oder sogar als Digital Experience Plattform dienen – dies erfordert jedoch einigen Aufwand und tiefgreifendes Fachwissen.

Dieser Blogbeitrag wurde ursprünglich von unserem Kollegen Giuseppe Mazzapica als Vortrag auf dem WordCamp Catania im September 2019 gehalten und ins Deutsche übersetzt. Es braucht etwas Zeit, den Artikel zu lesen, es lohnt sich aber wirklich.

Ich bin Entwickler, und auch wenn ich bereits zum 8. oder 9. Mal auf einem WordCamp spreche, habe ich dieses Mal erstmals die „unternehmerische“ Seite von WordPress als Thema.

Da ich Bedenken hatte, ob jemand einen Entwickler ernst nehmen würde, der über Business-Themen spricht, habe ich mich für diesen etwas reißerischen Titel entschieden, damit ich nicht vor einem leeren Saal spreche.

Bevor wir anfangen, möchte ich mich daher bei allen entschuldigen, die hierhergekommen sind, um herauszufinden, wie man mit dem Erstellen einer WordPress-Webseite 1 Million Euro verdient. Das eigentliche Thema meines Vortrags ist „WordPress auf dem Enterprise-Markt“.

Gibt es WordPress-Webseiten, die 1 Million Euro kosten?

Ja, die gibt es. Ohne näher in die Details der Entwicklungskosten zu gehen, kann allein schon das Hosting einer Webseite bis zu 20.000 Euro im Monat kosten, und das pro Installation.

Das hier gezeigte Beispiel bezieht sich auf einen 18-monatigen Vertrag (6 Monate Entwicklung vor der Veröffentlichung und ein Jahr zusätzliche Entwicklungs- und Wartungsarbeit) für zwei Installationen. Ein Enterprise-Kunde kann also schon bis zu 720.000 Euro alleine für das Hosting ausgeben.

Beispiel von Kosten eines WordPress-Webseiten-Projekts für Enterprise, mit 2 Multisite-Installationen, einigen Custom Plugins, Integration von Plugins von Drittanbietern, einem Custom Theme mit Child Theme, insgesamt 18 Monate Entwicklung und Wartung und Hosting. Total: 1.200.000 €
Beispiel: Kosten eines WordPress-Webseiten-Projekts für Enterprise

Wir sind aber ganz andere Zahlen gewohnt

Bei vielen Anbietern von Plugins und Themes für WordPress wird man schon für 100 € für ein Plugin oder 90 € für ein Theme fündig.

Für diese Zahlen habe ich keine Marktforschung betrieben, sie sollten deshalb bitte nicht als verbindlich angesehen werden. Es geht um Größenordnungen und nicht um den einzelnen Cent.

Außerdem möchte ich klarstellen, dass es für die Bedürfnisse kleiner Unternehmen völlig ausreicht, ein paar Plugins und Themes zu erwerben und diese von einem freiberuflichen Entwickler „personalisieren und anpassen“ zu lassen. Das kostet das Unternehmen höchstens ein paar tausend Euro.

Eine solche Webseite unterscheidet sich in den Features und der Menge an Code kaum von dem Enterprise-Beispiel vorher und basiert auf derselben WordPress-Grundlage.

Warum ist der Preisunterschied dann so enorm?

Zunächst das Offensichtliche

Wenn ich ein Einkaufszentrum besuche, bekomme ich einen Herrenanzug im Ausverkauf für vielleicht 50 Euro. Für einen maßgeschneiderten Anzug dagegen kann ich mehrere hundert Euro oder noch mehr ausgeben. Wenn ich einen berühmten Schneider beauftrage, kostet ein Anzug mehrere tausend Euro.

Bild von verschiedenen Anzügen: Von der Stange, maßgeschneidert und Designer-Anzug
Ein Anzug von der Stange oder maßgeschneidert: Die Qualität macht den Preis

Das ist die alte Geschichte von Qualität und Quantität.

Es geht aber um noch mehr. Warum sollte jemand tausende Euro für etwas ausgeben, das er auch für 50 Euro bekommen kann (außer, weil er es kann)?

Weil es um etwas Wichtiges geht.

Wenn die Webseite des kleinen Ladens nebenan für zwei Stunden nicht erreichbar ist, bemerkt das wahrscheinlich nicht einmal jemand.

Wenn dagegen die Webseite eines internationalen Unternehmens für zwei Stunden nicht erreichbar ist, führt das zu Millionenverlusten, Hashtags auf Twitter, Zeitungsartikeln und möglicherweise verlieren Leute ihren Job.

Die Webseite eines Unternehmens gehört zu seinen wertvollsten Wirtschaftsgütern. Unternehmen legen daher Wert darauf, bekannte und erfahrene Schneider zu beauftragen und greifen nicht bei einem Ausverkaufsangebot zu. Das wird natürlich teuer.

Jetzt stellt sich möglicherweise folgende Frage: Entspricht eine WordPress-Webseite denn einem Angebot aus dem Einkaufszentrum oder der Arbeit eines erfahrenen Schneider?

Lassen wir diese Frage noch eine Weile offen und versuchen wir, einige Besonderheiten der Marktstellung von WordPress zu verstehen.

Demokratisiertes Veröffentlichen (und Nebenwirkungen)

Seit seinen Anfängen ist democratize publishing das Motto und die Mission von WordPress. 16 Jahre später kann man mit Sicherheit sagen, dass diese Mission erreicht wurde. Mehr als ein Drittel der Webseiten nutzen WordPress und es ist mit Abstand das beliebteste CMS auf dem Markt.
 

Darstellung des WordPress-Marktanteils von über 30% als Kuchendiagramm
Über 30% der Webseiten weltweit nutzen WordPress

Wie hat WordPress das geschafft?

Meiner Meinung nach hat WordPress dieses Ziel erreicht, indem es Webseiten-Betreibern die technische Verantwortung abnimmt: Man braucht nicht technisch versiert zu sein, um eine WordPress-Seite zu besitzen und es erfordert kaum technische Kenntnisse, eine WordPress-Seite zu erstellen oder zu betreiben.

Dies hat sich positiv auf das gesamte Internet ausgewirkt, es hat aber auch andere Konsequenzen mit sich gebracht: Es ist ein riesiger Markt mit hunderten, wenn nicht tausenden Firmen entstanden, die beachtliche Profite erzielen und ihre Produkte auf Personas wie den unerfahrenen Amateur, den semiprofessionellen „Seitenimplementierer“ oder den Hobbyblogger ausrichten.

Ich sage nicht, dass das eine schlechte Entwicklung ist. Gar nicht. Aber ich würde sie als – sagen wir mal – „nicht-normal“ bezeichnen.

Lasst mich das an einem Beispiel erklären:

Ich habe seit 20 Jahren meinen Führerschein. Und doch verstehe ich nichts von Motoren. Wenn mein Auto mitten auf der Straße liegen bleibt, kann ich auch nichts weiter tun, als unter der Motorhaube nachzusehen, ob der Motor noch da ist. Ich kann selbst sehr wenig machen, sondern muss zu einem Experten gehen, der weiß, was zu tun ist. Dieser wird dann Werkzeug und Ersatzteile verwenden, um mein Problem zu lösen. Die Firmen, die diese Werkzeuge herstellen und vermarkten, erwarten am anderen Ende Ihres Marketings keine unerfahrene Person wie mich, sondern einen Profi. Während der gesamten Entwicklung, Herstellung und Vermarktung dieser Werkzeuge wird ein Profi als Persona vorausgesetzt.

Die Mehrheit der Produkte von WordPress werden dagegen für technisch nicht versierte, amateurhafte und unerfahrene Käufer konzipiert, entwickelt und vermarktet. Das ist etwas ungewöhnlich. Ziel dieser Produkte sind nicht die Endnutzer, also die Leute, die die Webseite besuchen (analog zu mir, der das Auto fährt), sondern Leute, die eine Webseite betreiben und entwickeln (analog zum Mechaniker, der das Auto repariert).

Versteht das bitte nicht falsch: einige WordPress-Produkte auf dem Massenmarkt sind von guter Qualität und sehr erfahrene Entwickler arbeiten für Unternehmen, die davon profitieren, diese Produkte zu verkaufen. Spricht man mit diesen Entwicklern, äußern sie sich aber oft besorgt darüber, dass ihre Lösungen „zu technisch“ für ihre Produkte seien.

Auch wenn diese Situation „nicht normal“ ist, hat sich gezeigt, dass eine gigantische Anzahl an Nutzern und Unternehmen gut damit fährt. Nur auf dem Enterprise-Markt funktioniert es nicht so recht …

WordPress-Produkte können auf Unternehmen skaliert werden. Oder doch nicht?

Viele der tausenden verfügbaren WordPress-Plugins können kostenlos installiert und verwendet werden. Wenn Nutzer sich einige solcher Plugins installieren, wird ihr WordPress-Dashboard zu einem Markt: Plugins fragen nach Konto-Upgrades, Empfehlungen, Newsletter-Anmeldungen oder Bewertungen.

Beispielhafte Darstellung eines WordPress-Dashboards mit vielen Plugin-Meldungen
Das WordPress Dashboard wird durch viele Plugin-Meldungen schnell unübersichtlich

Wie ich bereits sagte, sind Verbraucher der Zielmarkt. Es ist also wenig überraschend, dass Unternehmen Ihr Marketing deshalb auf Verbraucher ausrichten. So funktioniert dieser Markt eben. Jetzt stellt euch aber vor, ihr seid ein Manager der fiktionalen Firma, die ich am Anfang beschrieben habe. Eure Firma hat gerade mehr als eine Million Euro für eine Webseite ausgegeben und dann seht ihr so ein Dashboard … das ist natürlich nicht akzeptabel.

Dann verwendet man eben keine kostenlosen Plugins, oder? Premium-Plugins funktionieren doch bestimmt besser? Nun – hierzu kann ich eine Anekdote erzählen, die ich selbst erlebt habe.

Vor einiger Zeit hat ein großer Kunde von Inpsyde ein Feature für seine Webseite angefragt. Der Zeitplan war sehr eng. Zu eng, um eine individuelle Lösung zu bauen. Der Architekt hat vorgeschlagen, sich die verfügbaren Plugins auf dem Markt anzusehen. Kurzum, wir haben uns für ein vorhandenes Premium-Plugin entschieden.

Zunächst lief alles gut.

Einen Monat später frage der Kunde nach einem zusätzlichen Feature, das an das Plugin anknüpfen sollte. Wir haben beim Support des Plugins angefragt und bekamen mitgeteilt, dass dieses Feature nicht verfügbar ist. Wir haben es dann selbst gebaut, was tiefgreifende Anpassungen erforderte. So weit, so gut.

Einen weiteren Monat später entdeckten wir einen Bug im Plugin. Wir haben wieder beim Support des Plugins angefragt und bekamen die Antwort, dass der Bug bekannt ist und dass im nächsten Release in einer Woche ein Fix enthalten sein würde.

Wir haben den Kunden gebeten, zu warten, und eine Woche später die neue Plugin-Version installiert (natürlich auf dem Staging-Server).

Die Webseite brach zusammen.

Es stellte sich heraus, dass die neue Version nicht mit der Anpassung kompatibel war, die wir vorher durchgeführt hatten. Die schnellste Lösung für uns war, den Bug selbst zu fixen. Wir betreiben das Plugin seit über einem Jahr bis heute in der Version, die wir damals installiert haben ‒ mit ein paar zusätzlichen Bugfixes und Anpassungen, die wir selbst durchführen mussten. Kurz gesagt: Wir betreiben de facto einen Fork des Plugins. Wenn man allein die Kosten für die Anpassung und Wartung betrachtet, kosten die Features des Plugins den Kunden deutlich mehr als eine komplett personalisierte, maßgeschneiderte Lösung. Und ich rechne hier nicht einmal die “technischen Schulden” mit ein.

Was lernen wir daraus? Selbst Premium-Plugins sind auf dem derzeitigen WordPress-Markt nicht bereit für den Einsatz im Enterprise-Bereich.

Aber trotzdem …

… verwenden Großunternehmen, sogar Megakonzerne, WordPress für zumindest einen Teil ihrer Geschäftsbereiche.

Logos von großen Unternehmen, die WordPress nutzen (z.B. Disney, Facebook, Microsoft)
Viele bekannte Unternehmen setzen auf WordPress

Um noch einmal auf die Frage von vorhin zurückzukommen: „Entspricht eine WordPress-Webseite einem Angebot aus dem Einkaufszentrum oder der Arbeit eines erfahrenen Designers?“ Ich kann sie euch beantworten: Es entspricht keinem von beiden.

WordPress ist wie ein Baumwollfeld. Erntet man die Baumwolle und gibt sie an einen gutes textilverarbeitendes Unternehmen, kann daraus ein hochwertiger Stoff entstehen, aus dem ein Designer einen Anzug herstellen kann, der mehrere tausend Euro wert ist. Oder man erntet die Baumwolle und vermischt sie mit 90% Acryl, um daraus ein billiges Gewebe für den Massenmarkt herzustellen, das durch ausbeuterische Arbeitsverhältnisse zu 50-Euro-Anzügen verarbeitet wird.

Dieser Vergleich drückt die große Flexibilität von WordPress aus, aber auch seine rohstoffhafte Natur.

Auf dem derzeitigen Markt gibt es tausende Firmen, die das Rohmaterial zu billigen Anzügen verarbeiten können, und tausende Kunden, die sich mit diesen Anzügen zufriedengeben. Die hochqualifizierten Arbeitskräfte, Fähigkeiten und Werkzeuge zur Herstellung von hochqualitativen Produkten sind jedoch sehr knapp.

Eines der meist betonten Verkaufsargumente für WordPress, das wahrscheinlich auch die meisten Kunden überzeugt, ist das gigantische Ökosystem. Wie ich aber zuvor gezeigt habe, ist dieses Ökosystem zum großen Teil nicht im Enterprise-Bereich anwendbar. Das macht es für WordPress sehr viel schwieriger, sich auf dem Enterprise-Markt durchzusetzen.

Und das ist übrigens kein Geheimnis

Gartner Inc. ist ein global agierendes Recherche- und Beratungsunternehmen mit weltweit mehr als 15.000 Mitarbeitern. Eines seiner bekanntesten Geschäftsfelder ist die Erstellung eines Diagramms, des „Magic Quadrant“, auf dem die größten Anbieter einer Branche zu sehen sind. Die X-Achse des Diagramms steht für die „Vollständigkeit der Vision“ eines Anbieters und die Y-Achse seine „Fähigkeit, sie umzusetzen“.

Gartner Magic Quadrant für Web Content Management mit Automattic unter Challengers
Gartner Magic Quadrant: Content Management

Daraus resultiert ein Diagramm mit vier Feldern, auf denen man im Uhrzeigersinn von rechts oben die „Marktführer“, die „Visionäre“, die „Nischenbesetzer“ und die „Herausforderer“ sehen kann. Der 2019 von Gartner veröffentlichte „Magic Quadrant“ für die Branche „Web Content Management“ zeigt zwei Firmen, die WordPress verwenden. Das heißt, wenn man bei diesen Firmen kauft, erhält man eine auf WordPress basierende Lösung. Obwohl WordPress mit Abstand die am meisten verwendete CMS-Lösung ist, befindet sich keine dieser Firmen im „Marktführer“-Quadranten.

Im „Herausforderer“-Quadranten ‒ und das ist nicht einmal die beste Position ‒ finden wir Automattic:die Firma, die wordpress.com besitzt und deren Gründer, CEO und Präsident Matt Mullenberg in der WordPress-Community wohlbekannt ist.

Wir betrachten die Analyse von Gartner natürlich nicht als die absolute, unumstößliche Wahrheit ‒ auch, wenn andere Beratungsfirmen auf ähnliche Ergebnisse kommen. Klar ist, dass WordPress auf dem Enterprise-Markt und im Konzernbereich nicht die Vorreiterstellung einnimmt, die es auf dem Verbraucher- und dem KMU-Markt innehat.

Ich denke, niemand wäre überrascht, wenn Automattic den Enterprise-Markt als Wachstumsziel ansehen würde.

Automattic und der Enterprise-Markt

Erst ein paar Tage vor meinem Talk auf dem WordCamp Catania wurde bekannt, dass Automattic mit 300 Millionen von Salesforce Ventures unterstützt wird.

Matt selbst hat bei der Ankündigung der Förderung deutlich gemacht, dass die Eroberung des Enterprise-Marktes eines der Hauptziele des Unternehmens ist. WordPress ist natürlich nicht gleich Automattic. Aber ich denke, der Einfluss auf die unternehmerische Seite von WordPress ist ganz deutlich vorhanden.

Ein genauerer Blick auf die  Technologien, mit denen WordPress auf dem Enterprise-Markt antreten wird, könnte Einblicke in kommende Entwicklungen von WordPress geben.

Features, die Enterprise-Kunden wollen

Auch wenn der „Magic Quadrant“ von Gartner Firmen und nicht Technologien misst, kann man daran gut erkennen, welche Content Management-Technologie diese Firmen ihren Kunden anbieten.

In manchen Fällen sind die Technologie und die Firma sogar gleichnamig. Ich selbst habe fast keine bzw. nur sehr wenig Erfahrung mit diesen Technologien. Aber dank der Informationen, die ich Online recherchiert habe und – viel wichtiger – aufgrund der Erfahrungen, die ich bei meiner Arbeit mit WordPress für Enterprise-Kunden gemacht habe, konnte ich eine Liste der Bereiche erstellen, in denen WordPress meines Erachtens etwas aufzuholen hat:

Authentifizierung

Kein Großunternehmen erlaubt es Administratoren oder Redakteuren, sich über ein einzelnes Benutzerkonto und ein Passwort einzuloggen. Stattdessen haben sie zentrale Benutzerverwaltungssysteme, die sich mit anderen Plattformen integrieren lassen und Standards wie OpenID Connect oder SAML verwenden. Fertige Lösungen, die sich mit diesen Standards integrieren lassen, existieren für WordPress nicht. Lösungen, die man online finden kann, sind bestenfalls als „Fork“-Grundlage für personalisierte Lösungen einsetzbar. Für die Konkurrenz von WordPress sind solche Integrationen Routine.

Mehrsprachigkeit

Große Unternehmen agieren global und brauchen daher natürlich globale Webseiten. Leider ist Mehrsprachigkeit noch kein Bestandteil der Grundversion von WordPress. Für die weitere Entwicklung von WordPress  ist sie glücklicherweise geplant. Es gibt außerdem einige Experten, die hart daran arbeiten, Mehrsprachigkeit für WordPress zu ermöglichen. Dazu gehören auch wir mit unserem Mehrsprachigkeits-Plugin MultilingualPress.

Mandantenfähigkeit

Große Unternehmen bestehen oft aus kleineren Unternehmen oder einem Mutterkonzern mit mehreren Tochterunternehmen. In solchen Fällen wird eine konsistente, aber gleichzeitig flexible Verwaltungslösung für „web properties“ benötigt. WordPress Multisite ist hierfür aus mehreren Gründen keine Lösung: Benutzer teilen sich Konten (das kann teilweise sogar illegal sein) oder es gibt zum Beispiel keine Möglichkeit, an zwei Standorten unterschiedliche Versionen eines Plugins zu verwenden. Ganz zu schweigen davon, dass auch ein einzelner Standort unter Umständen bereits eine Multisite-Installation benötigt, sodass man eine Multisite in einer Multisite betreiben müsste, was mit der Grundversion von WordPress nicht möglich ist.

Multi Environment

Jede halbwegs professionelle Webseite hat zumindest eine Staging-Umgebung. Das ist eine Webseite, die mit der eigentlichen Webseite identisch, aber für die Öffentlichkeit nicht zugänglich ist.

Unternehmen verwenden diese Umgebung, um Features und Inhalte zu testen, bevor sie online veröffentlicht werden. Es ist eine Standardanforderung, dass Inhalte und Konfigurationen, die in der Staging-Umgebung erstellt wurden, nahtlos in die Produktionsumgebung eingefügt werden können. WordPress bietet kein solches Feature. Ehrlich gesagt ist es schwer oder fast unmöglich, diesen Schritt auf WordPress ordentlich auszuführen.

User-Segmentierung

Bei WordPress gibt es Benutzerrollen. Normalerweise haben alle Kunden eines Unternehmens dieselbe Rolle, da sie an der Webseite nichts außer ihrem eigenen Passwort verändern können.

Viele Unternehmen profitieren allerdings davon, verschiedenen Benutzern verschiedene Inhalte anzuzeigen. Stellt euch beispielsweise die Webseite einer Restaurantkette vor, die ihren Kunden auf Basis ihrer Lieblingsgerichte unterschiedliche Inhalte anzeigen möchte.

Beispiel einer User-Segmentierung mit Homepage, die Burger zeigt und einer anderen, die Salat zeigt
Durch User-Segmentierung erhalten Nutzer genau die Informationen, die sie interessieren

Dezentralisierte Content-Erstellung

Ein WordPress-Beitrag kann immer nur von einem Benutzer gleichzeitig bearbeitet werden. Viele Plattformen bieten die Möglichkeit, Content von mehreren Benutzern gleichzeitig bearbeiten zu lassen. Bei WordPress ist das momentan nicht der Fall.

Außerdem kann WordPress, obwohl es als Tool zum Veröffentlichen von Blogs entstand, einen Inhalt nicht mehreren Autoren gleichzeitig zuordnen. Ganz zu schweigen von einem Redaktionsprozess für Inhalte. Mit diesem Problem sind Presseunternehmen seit den Anfängen von WordPress konfrontiert.

Es bleibt zu hoffen, dass solche Kollaborations-Features 2020 kommen.

Integration

Wir leben in einer Welt, die mit jedem Tag digitaler und integrierter wird. Zu glauben, dass ein so wichtiger Bestandteil des Unternehmensgeschäfts wie Content Management Systeme isoliert von anderen, ebenfalls wichtigen Systemen existieren kann, ist bestenfalls naiv. Mit der REST API ist WordPress einen Schritt weiter gekommen, sie bleibt aber ein Rohstoff. Was Unternehmen wollen, sind fertige und einsatzbereite Lösungen. Die Konkurrenz von WordPress bietet viele Integrationsmöglichkeiten mit Tools, die häufig von Unternehmen eingesetzt werden: entweder als Bestandteil der Grundsoftware oder als offizielle Integrationen. WordPress bietet nur sehr wenige.

Ein Beispiel: Sucht man im Internet nach WordPress-Integrationen mit beliebten Buchhaltungstools für Freiberufler, findet man dutzende Ergebnisse. Sucht man dagegen nach Integrationen mit einigen der beliebtesten Logistik- oder Finanztools für Unternehmen, erhält man oft gar keine Treffer.

Der Mangel an Integrationen mit Enterprise-Tools ist wahrscheinlich die größte Schwäche von WordPress, wenn man es mit der Konkurrenz auf dem Markt vergleicht. Denn Unternehmen wollen mehr als „nur“ ein CMS.

Experience … what?

Als ich die Logos einiger Konkurrenten von WordPress gezeigt habe, haben einige vielleicht bemerkt, dass viele von ihnen das Wort „Experience“ im Namen oder im Schriftzug tragen.

Logos von WordPress-Konkurrenten auf dem Enterprise-Markt
Experience liegt im Trend

Das ist das Ergebnis eines Re-Brandings, das sich aus der steigenden Popularität eines neuen Begriffs ergibt: Digital Experience Platform oder DXP.

Neben vielen anderen Definitionen ist eine erfolgreiche DXP das Ergebnis eines modernen Konsums von Inhalten, die den Computer längst nicht mehr als Medium benötigen, um unser aller Leben überall und jederzeit zu begleiten. Und das dank der „smarten“ Dinge, mit denen wir uns umgeben: Smartphones, Lautsprechern, mobile Geräte.

Dazu zählt aber auch die Art, wie wir Unterhaltung konsumieren. Unsere Medien für Video und Audio sind längst nicht mehr die Fernseher und Radios unserer Großeltern.

Die Möglichkeiten zur massenhaften Speicherung von Daten und deren Verarbeitung durch Machine-Learning-Systeme befähigt Unternehmen dazu, ihren Usern eine umfassende und immersive Experience zu bieten. Vollkommen personalisiert und dynamisch.  

Der Begriff DXP zirkuliert schon seit ein paar Jahren durch die Marketing-Abteilungen. Aber die WordPress-„Blase“ hat er erst in den letzten Monaten erreicht.

Nachdem DXP im WordPress-Ökosystem Einzug gehalten hat, habe ich begonnen, online nach Material zu DXPs suchen. Aber ganz egal, wo ich fündig geworden bin: Alles klang nach nichts als einem Mix  aus Marketing-Buzzwords.

Ich habe erst verstanden, worum es geht, als ich mir eine DXP in der realen Welt vorgestellt habe. Ich würde euch gern dasselbe Erlebnis vermitteln.

Wir haben einen großen Einzelhandelskonzern, nennen wir ihn GIGANTIA, und eine Kundin, nennen wir sie Lisa. Wie tausende anderer Kunden hat Lisa eine Kundenkarte, die sie an ein Lesegerät an der Kasse hält, um Rabatte und Angebote zu erhalten. So weiß GIGANTIA, was Lisa einkauft.

Kombiniert mit den Informationen, die sie beim Erhalt der Karte angegeben hat ( Alter, Adresse…) kann GIGANTIA ein Profil für Lisa erstellen.

Dank relativ simpler Machine Learning-Technologien weiß der Einzelhändler, dass Lisa Vegetarierin ist und eine bestimmte Biermarke mag. Der letzte Newsletter, den sie von GIGANTIA erhalten hat, enthielt daher einen Artikel über zertifiziert vegane Brauereien, die ihre Produkte über die Filialen der Einzelhandelskette vertreiben.

Über einen Link in der E-Mail gelangt Lisa auf die Webseite des Unternehmens, wo ihr sofort große Werbebanner für vegane Produkte angezeigt werden. Und das, obwohl sie noch gar nicht eingeloggt ist.

Auf der Webseite sucht sie aus einer Laune heraus nach Kokosnuss-Eis. Als sie am nächsten Tag bei GIGANTIA einkauft, gibt die Kasse beim Bezahlvorgang einen Gutschein für veganes Kokosnuss-Eis aus.

Um den Gutschein einzulösen, muss Lisa eine App auf ihrem Handy installieren. Diese App kann auch die Plastik-Kundenkarte ersetzen ‒ schließlich befinden wir uns im Jahr 2019. Die App erkennt, wenn Lisa ein Geschäft der Einzelhandelskette betritt und zeigt sofort Benachrichtigungen mit aktuellen Produkten und Rabatten an. Diese enthalten nur Produkte, nach denen Lisa gesucht hat, die sie online gekauft hat, an denen sie anderweitig Interesse gezeigt hat oder von denen der Machine Learning-Algorithmus von GIGANTIA einfach glaubt, dass sie sie interessieren könnten.

Eines Tages betritt Lisa wieder den Laden. Anhand der Daten, die die Kundenkarte gesammelt hat, erkennt GIGANTIA, dass Lisa seit drei Wochen nicht mehr ihr Lieblingsbier gekauft hat. Und auch, dass sie stattdessen schon zweimal Folsäure-Nahrungsergänzungsmittel gekauft hat. Sobald sie zu Hause angekommen ist, erhält Lisa eine E-Mail mit den besten Angeboten für Babybetten und Kinderwagen.

Diese Geschichte stammt nicht aus einer dystopischen Zukunft, sondern aus einer leicht faden Vergangenheit. Unternehmen wollen über verschiedene Kanäle wie Webseiten, mobile Apps, E-Mails, tragbare Geräte und Smart-Home-Anwendungen eine nie endende digitale Beziehung mit ihren Kunden herstellen.

Eine DXP ist theoretisch eine Plattform, die alle dafür notwendigen Werkzeuge bietet und dabei auch jeden Dienst integriert, den das Unternehmen verwendet ‒ sowohl von Seiten der Kunden als auch unternehmensintern.

Letzteres können beispielsweise Dokumente oder Verwaltungstools für Logistik sein.

Experience … Umgebung?

Viele in der Branche bezweifeln, dass eine solche Plattform existiert. Einige sind sogar sehr davon überzeugt, dass es eine DXP überhaupt nicht gibt.

Man kann aber nicht abstreiten, dass die „Versprechen“ der DXP bereits Realität geworden sind. Etwas, das viele Unternehmen bereits seit Jahren aktiv umsetzen und das viele weitere anstreben.

Viele Analysten sagen allerdings ‒ und da stimme ich ihnen zu ‒, dass die allumfassende digitale Erfahrung, so vielversprechend sie auch für Unternehmen klingt, nicht auf einer einzelnen Plattform stattfindet, sondern vielmehr in einer Umgebung, die sich aus vielen Plattformen zusammensetzt. Informationen werden über standardisierte Kommunikationskanäle ausgetauscht und die Plattformen verwenden jeweils die Ausgabe der anderen als Eingabe. Das alles wird durch die Daten angetrieben, die Kunden bei der Nutzung der Dienste dieser Plattformen produzieren.

In solch einer DXP-Umgebung hat WordPress sicherlich eine Chance, relevant für den Enterprise-Sektor zu werden. 

Viele Signale wie der Einzug von DXP in die WordPress-Blase, die Einführung der Open Source Digital Experience Platform oder die Millionenförderung von Automattic deuten darauf hin, dass Teile des Ökosystems WordPress zu der hochintegrierten, hochpersonalisierten und hochdynamischen Content Management Platform machen wollen, die sich Unternehmen wünschen.

Ein Blick in die Zukunft von WordPress

Wenn das Ziel die Erfüllung der Ansprüche des Enterprise-Marktes ist, sind die größten Hindernisse nicht bei WordPress selbst zu suchen. Die geplante Zukunft von WordPress (oder auch die nächsten „Gutenberg-Phasen“) ist bereits konkretisiert und befasst sich mit einigen der Schwächen, auf die ich zuvor eingegangen bin. Allgemein gesagt werden die „App-ifizierung“ des WordPress-Backends und der Trend zu einem API-zentrierten Ansatz viele benutzerorientierte Innovationen erleichtern.

In den richtigen Händen ist WordPress ein leistungsfähiges CMS für Enterprise-Kunden.

Die größte Herausforderung, die ich auf das Ökosystem zukommen sehe, ist das Erfüllen der Ansprüche einer riesigen, vielfältigen Gruppe an Anwendern und des Marktes, der diese Anwender als Zielgruppe hat und sich mehr auf große Unternehmen ausrichten möchte.

Für Entwickler wird es wahrscheinlich die größte Herausforderung sein, zu verstehen, wie dieser Wunsch nach Wandel mit neuen Technologien vereint werden kann.

Folglich könnte für alle, die sich für die unternehmerische Seite von WordPress interessieren, jetzt der perfekte Zeitpunkt sein, auf den Zug aufzuspringen und das Unternehmen zu werden, das die nächste 1-Million-Euro-WordPress-Webseite verkauft.

Was denkt ihr zu dem Thema? Ich würde gerne eure Meinung auf Twitter (@gmazzap) oder meiner persönlichen Webseite hören oder mich auf dem nächsten WordCamp mit euch unterhalten!

Dieser Blogbeitrag wurde ursprünglich von unserem Kollegen Giuseppe Mazzapica als Vortrag auf dem WordCamp Catania im September 2019 auf Englisch gehalten und ins Deutsche übersetzt.