WordCamp Europe 2020: Wie man ein Online-Event mit über 8600 Teilnehmern organisiert

WordCamp Europe Online 2020 Header mit WCEU-Logo
WordCamp Europe Organisator und Global Lead Bernhard Kau im Interview: Wie organisiert man ein so großes, virtuelles Event? Und sind virtuelle WordPress Events nur eine Herausforderung oder auch eine Chance?

Das WordCamp EU ist die größte WordPress-Konferenz in Europa, für die sich dieses Jahr über 8600 Teilnehmer ein kostenfreies Ticket gesichert haben. Das Event fand in diesem Jahr aufgrund der Corona-Krise wie viele andere Events zum Schutz der Teilnehmer online statt. Damit ist das WCEU 2020 das erste, auf ein internationales Publikum ausgerichtete, Online-WordCamp. 

Die Organisatoren des WordCamps haben sich für die reibungslose Umsetzung eines solch großen Online-Events  völlig neuen Herausforderungen gestellt. Im Interview mit Global Lead Bernhard Kau haben wir einen Blick hinter die Kulissen des Events geworfen und über die Zukunft virtueller WordPress Events gesprochen.

Bernhard Kau: Global Lead WordCamp Europe 2020 und WordCamp Porto 2021

Hauptberuflich bin ich Webentwickler. Ich konzentriere mich hauptsächlich auf PHP und würde mich selbst am ehesten als Plugin-Entwickler bezeichnen. WordPress ist meine große Leidenschaft.

WordCamp Europe Organisator und Global Lead Bernhard Kau lächelnd mit Hut

Mittlerweile war ich schon auf etwa 30 WordCamps weltweit. Ich bin Co-Organizer des WordPress Meetups und WordCamps Berlin und helfe nun zum 4. Mal bei der Orga des WCEU. Letztes Jahr auf dem WordCamp EU in Berlin war ich Local Lead. 

Im Orga-Team des WCEU 2020 Online bin ich zusammen mit Rocío Valdivia Global Lead und einer von vier Global Leads des WCEU 2021 in Porto. Unsere Aufgabe ist es im wesentlichen, die anderen Teams zu managen, damit alle in die gleiche Richtung laufen.

Welche Aufgaben und wie viel Zeit gehören zur Vorbereitung eines großen WordCamps?

Das ist schwierig zu beantworten, denn es kommt ganz darauf an, in welchem Team man arbeitet. 2017 war ich z. B. Teil des Design-Teams des WCEU. Da hatte ich auf dem WordCamp selbst sozusagen frei, denn das Design-Thema (Flyer, Plakate usw.)  war ja schon fertig ausgearbeitet. 

2018 war ich im Content-Team. Unsere Hauptaufgabe war es hier, die Speaker auszuwählen und zu betreuen. Im Vorfeld gab es nicht sehr viel zu tun, aber nachdem der Call for Speaker abgeschlossen war, fing die richtige Arbeit an. Wir mussten aus ca. 400 Einsendungen 60 Speaker auswählen. 

Und letztes Jahr als Local Lead beim WCEU in Berlin musste ich mir viele Locations in Berlin anschauen, Telefonate führen und am Ende auch noch wegen ein paar unvorhergesehenen Problemen die gesamte Logistik übernehmen. Das war richtig viel Arbeit, die man vielleicht auch gerne vermieden hätte. 

Deshalb haben wir uns dieses Jahr für Production Pool als Unterstützung entschieden. Das Unternehmen hat letztes Jahr z. B. das Aftermovie zum WCEU produziert und das Live Streaming organisiert. 

Corona-Krise: Absolutes Fiasko für WordCamp-Organisatoren

Vom 21. -23. Februar sollte das erste WordCamp Asia in Bangkok stattfinden. Am 13. Januar 2020 meldete das thailändische Gesundheitsministerium den ersten, durch einen Labortest bestätigten Corona-Fall in Thailand. Inzwischen hatte sich die Situation in China bereits weiter zugespitzt. Würde das WordCamp Asia dennoch stattfinden? Es musste eine schnelle Entscheidung getroffen werden. Am 12. Februar veröffentlichte das WCAsia Team schließlich die Meldung: Matt Mullenweg hat entschieden, das WordCamp Asia 2020 abzusagen.

“The next few months will be tough for people, WordPress and the community. WordCamps are being cancelled around the world and we were the first in the chain.” 

WordCamp Asia Team

Das WordCamp Europe 2020 sollte eigentlich in Porto stattfinden und wurde wegen der Corona-Krise schließlich als Online-Event geplant. 2021 soll es, wie ursprünglich vorgesehen, ein WCEU in Porto geben.

Wie kam es zu dieser Entscheidung?

Im März haben wir uns in einem großen Zoom-Call mit allen Organizern gemeinsam dazu entschieden, das WordCamp Europe in Porto auf 2021 zu verschieben. Im Februar war bereits das in Bangkok geplante WordCamp Asia abgesagt worden. Damals hatten wir regen Kontakt mit dem WC Asia Team und haben versucht, ihnen dabei zu helfen, den Ausfall des WordCamps organisatorisch zu managen. Dabei haben wir selber viel darüber gelernt, wie man mit so einer SItuation umgehen kann. 

Bis zur Entscheidung, das WordCamp Europe auf 2021 zu verschieben, hatten wir bereits ein halbes Jahr Arbeit in die Organisation des Events investiert. Deshalb ist uns die Entscheidung nicht leicht gefallen. Doch wir sahen einen klaren Trend: Viele große Konferenzen waren schon abgesagt oder verschoben worden. 

Außerdem mussten wir an die Menschen in der Community denken. Wir hatten von Unternehmen gehört, die ihren Mitarbeitern entweder aus Sicherheitsgründen verboten haben, an größeren Konferenzen und Events teilzunehmen oder auch trotz Bedenken dazu gezwungen haben, teilzunehmen. So etwas wollten wir nicht verantworten. Jeder sollte die Möglichkeit haben, teilzunehmen ‒ und zwar ohne Risiko. Es war uns wichtig, schnell zu reagieren, um zu vermeiden, dass die Leute wie in Asien bereits Hotels und Flüge gebucht haben.

Weil wir das WordCamp Europe 2020 nicht ganz ausfallen lassen wollten, haben wir uns für die Umsetzung als Online-Event entschieden. Ca. drei weitere Monate haben wir also in die Planung des WordCamps Europe als virtuelles Event gesteckt. Dabei konnten wir einen Teil unserer Vorarbeit weiter nutzen. Wir hatten zum Beispiel schon viel an der Webseite gearbeitet und Speaker ausgewählt. Trotzdem muss man sich auf eine Online-Konferenz ganz anders vorbereiten als auf eine Vor-Ort-Veranstaltung. Wir standen vor vielen Herausforderungen und Problemen, denen wir uns zuvor noch nie stellen mussten. 

Was waren die größten Herausforderungen bei der Organisation eines so großen Online-Events?

Die Online-Logistik ist dieses Jahr eine der größten Herausforderung gewesen. 

Besonders zeitintensiv war das Onboarding der Speaker: Wir mussten alle an die verwendete Technik heranführen, bei der Installation helfen und auch testen, ob alles gut funktioniert. 

Im Vorfeld haben wir über 40 Tools getestet, um die besten für das Event auszuwählen. Auf dieser Basis haben wir den Speakern Empfehlungen gegeben, z. B. für Aufnahmetools für die 10-minütigen Lightning Talks, die wegen ihrer kurzen Länge schon vorher aufgezeichnet wurden, um einen schnellen Übergang zum nächsten Talk zu ermöglichen. Insgesamt 20 Tools haben wir mit zusätzlichen Infos, z. B.  zu Barrierefreiheit, auf einer Liste zusammengetragen, damit auch andere Veranstalter in Zukunft leichter passende Tools finden können.

Eine weitere Herausforderung war die Organisation von Speakern aus verschiedenen Zeitzonen. Deshalb haben wir uns dazu entschieden, die Talks jeweils auf den Nachmittag zu legen, um die Teilnahme aus vielen verschiedenen Zeitzonen zu begünstigen. Als Konsequenz mussten wir viel des Seitenprogramms wie Workshops, das WP Cafe und auch die Wellness-Sessions dieses Jahr wegfallen lassen. Es war nötig, den Umfang reduzieren, um den Zeitplan übersichtlich zu halten und die Teilnehmenden nicht mit zu vielen, parallel laufenden Veranstaltungen zu überfordern.

Unser übergeordnetes Thema war Accessibility.

Etwa 20% der Menschen haben eine Beeinträchtigung und deshalb ist es ein absolutes Muss für uns, auf Tools zu setzen, die für alle zugänglich sind! 

Neben Tools, die mit Screenreadern und anderen unterstützenden Programmen kompatibel sind, liegt das Hauptproblem bei Online-Konferenzen immer noch in der Internetverbindung. Selbst in Deutschland gibt es in ländlichen Regionen oft kein gutes Internet. Und viele Tools kommen nicht gut mit einer schlechten Verbindung zurecht. Deshalb war uns vor allem wichtig, dass wir Tools nutzen, die für eine so große Konferenz mit vielen Teilnehmern auch skalierbar sind

Außerdem wollten wir dieses Jahr weiterhin all das bieten, was wir auch bisher auf dem WordCamp Europe in Bezug auf Barrierefreiheit etabliert hatten. Dazu gehörten zum Beispiel Stenografen, die live das Gesprochene in Untertitel übersetzt haben. 

Feld zur Abfrage von speziellen Bedürfnissen bei der Anmeldung zu WordCamp Europe Online 2020
Abfrage von Accessibility-Bedürfnissen bei der Anmeldung zum WordCamp Europe Online 2020

Wir mussten neue Lösungen für unsere Sponsoren finden.

Natürlich können wir auf einem virtuellen WordCamp nicht den gleichen Umfang und Qualität bieten wie bei einem Vor-Ort-Event. Es konnte weder Sponsorenstände noch das damit verbundene Laufpublikum geben. Darum haben wir u. a. nach Lösungen gesucht, um Sponsoren und Teilnehmern Raum für Gespräche zu bieten

So bekam jeder Sponsor für die Dauer des WordCamps ein eigenes Zoom-Meeting, in dem sie machen konnten, was sie wollen (natürlich innerhalb unseres Code of Conduct und den Richtlinien). Zusätzlich dazu haben wir Sponsoren-Areas eingerichtet, in denen die Sponsoren je nach Paket einen Zeitslot bekommen haben, den sie füllen konnten (Zum Beispiel mit Webinaren und Demos).

Wir sind froh, dass unsere Sponsoren Verständnis für die Umstände hatten und wir haben deutlich gespürt, dass es ihnen am Herzen liegt, die Community und das Ecosystem auch in dieser schweren Zeit zu unterstützen.

Auch für den Contributor Day haben wir neue Lösungen gefunden.

Was den Contributor Day betrifft hatten wir dieses Jahr einen positiven Effekt, denn natürlich ist ein Online-Contributor Day kostengünstiger als ein Vor-Ort-Event. Außerdem lässt sich eine virtuelle Veranstaltung besser skalieren. Auf dem WordCamp Europe 2019 in Berlin hatten wir ca. 500-600 Plätze für den Contributor Day, 2020 hatten wir knapp 2000 Anmeldungen. 

Damit war der diesjährige Contributor Day auf dem WCEU der größte internationale Online Contributor Day. Um allen einen guten Einstieg zu ermöglichen, hat jedes Make Team Vorstellungsvideos erstellt. Viele der Teams hatten auch schon im Vorfeld Onboarding Sessions zu unterschiedlichen Zeiten, um möglichst alle Zeitzonen abzudecken. Der Contributor Day wurde für das Online-Event direkt auf Slack verlagert, denn dort spielt sich auch sonst das meiste ab und so konnten wir neue Contributors gleich gut abholen. Jedes Team hatte außerdem einen eigenen Zoom-Raum für Gespräche und Fragen. Zusätzlich haben wir Onboarding-Guides für jedes Team erarbeitet. Unser Ziel ist es, das Onboarding neuer Contributor noch einfacher und zugänglicher zu machen und unsere Erfahrung auch für andere WordCamps nutzbar zu machen. Die Guides liegen auf Github, damit jeder Zugang hat und Übersetzungen in viele Sprachen entstehen können. 

Was sind die Vorteile eines virtuellen WordCamps?

Ich sehe den einzigen wirklich positiven Aspekt einer Online-Konferenz darin, dass  jeder teilnehmen kann. Und zwar nicht nur in Bezug auf die Ortsunabhängigkeit eines solchen Events, sondern auch in Bezug auf die Kosten für Teilnehmer. Kosten für Anreise, Hotel und Verpflegung entfallen ganz. Letztendlich brauchen Teilnehmer nur eine gute Internet-Verbindung. 

So können jetzt auch Menschen am WordCamp Europe teilnehmen, die sonst nie teilgenommen hätten.
Das ist eine ganz neue Art der Inklusion! 

Das ist übrigens auch die Idee hinter den vielen lokalen WordCamps: Es soll einfach sein, daran teilzunehmen. Jeder soll die Möglichkeit haben, unkompliziert ein WordCamp in seiner Nähe besuchen zu können. Das ist zum Beispiel bei überregionalen WordCamps wie dem WordCamp Europe oder USA nicht der Fall. Die Community hilft zwar, z. B. mit der Initiative DonateWC, einigen dabei teilnehmen zu können, aber wir können nicht alle unterstützen. 

Was sind die Nachteile eines virtuellen WordCamps?

Das persönliche Zusammenkommen fehlt. Viele in der Community sagen: Der wichtigster Track auf einem WordCamp ist der Hallway Track, also die Gespräche auf dem Flur zwischen den Vorträgen. Man trifft alte Bekannte, lernt viele neue Menschen kennen und das ist eine tolle Erfahrung. Das fehlt natürlich dieses Jahr in dieser Form komplett. Gerade Menschen, die neu in die Community kommen, finden deshalb vielleicht keinen Zugang. Wir haben natürlich versucht, Wege zu finden, das auf andere Weise abzudecken.

Es war nicht leicht, gute Lösungen zu finden, die auch barrierefrei sind. Unseren Plan einer Networking Area mussten wir zum Beispiel aus diesem Grund verwerfen, denn Leute, die auf Screenreader und Co. angewiesen sind, hätten das nicht nutzen können. Außerdem gab es ein großes logistisches Problem, nämlich die zeitliche Eingliederung in unser enges Zeitkonzept. In unserem Schedule gab es schon bis zu acht parallele Veranstaltungen. Zusätzliche Networking-Räume wären einfach zu viel gewesen. 

Werden WordPress-Online-Events deiner Meinung nach auch nach der Krise weitergeführt werden? 

Es wird spannend zu sehen, was sich dadurch in der WordPress Community verändert. Ich gehe davon aus, dass nach der Krise WordCamps wieder vor Ort stattfinden werden. Aber vielleicht wird es auch Online-WordCamps geben. 

Es wurde ja auch lange diskutiert wegen regionaler WordCamps. Anfangs galt die Regel, dass WordCamps ausschließlich lokal, also in klarer Zuordnung zu einem bestimmten Ort oder einer Stadt, stattfinden können, um Zugänglichkeit zu gewährleisten und lokale Events vor dem Aussterben zu bewahren. Trotzdem gibt es mittlerweile das WordCamp EU und auch das WordCamp US. Ich kann mir daher durchaus vorstellen, dass es irgendwann z. B. ein WordCamp Deutschland Online geben könnte. Und bin auch gespannt darauf, welche Änderungen es vielleicht bei Meetups geben wird. Online Meetups haben den großen Vorteil, dass man leicht andere Communities kennenlernen kann. 

Auch der Contributor Day ist ein Format, das man in Zukunft vielleicht auch Online bringen könnte, denn auf diese Weise können mehr Menschen teilnehmen. Es gibt bereits ähnliche Veranstaltungen, die Online laufen wie den Global Translation Day. Ein solches Online-Format auf globaler Ebene könnte eine gute Ergänzung zu den lokalen Communities sein. 

Ich denke jedoch nicht, dass es zu “hybriden Events” kommen wird. Natürlich werden viele WordCamps schon live gestreamt. Aber man ist eben nicht wirklich dabei und kann sich nicht spontan mit jemandem unterhalten, den man eben auf dem Gang getroffen hat. Das ist wie bei einem Sport-Event, das man sich im Fernsehen anschaut. Es ist einfach nicht das Gleiche, wie live im Stadion dabei zu sein. 

Ich denke, dass reine Online-Events funktionieren können und auch in Zukunft beibehalten werden könnten. 

Als Organisatoren des WordCamps EU 2020 haben wir viel gelernt. Wir haben unser Wissen und unsere Arbeit gesammelt und möchten das auch an andere Veranstalter weitergeben. 

Schlusswort von Inpsyde

Ob sich Online-Events in der WordPress-Welt in Zukunft durchsetzen werden oder nicht: Das WordCamp Europe 2020 Online war nicht nur ein Event, sondern ein Beweis für die Stärke der WordPress Community. Wir sind begeistert von dem persönlichen Einsatz der Community, ihrem Zusammenhalt in dieser schwierigen Zeit und ihrer Fähigkeit und ihrem Willen, innovative Lösungen für komplexe Probleme zu finden. Und wir sind sehr stolz darauf, ein Teil dieser großartigen Community zu sein!